VIER FRAGEN AN FRAUKE GATHOF

Was der Schmuck der Maasai über die Person sagt, die ihn trägt und wie „typisch" der farbenfrohe Schmuck tatsächlich ist, verrät uns Frauke Gathof im Interview

WELTKULTUREN NEWS: Frauke, du bist wissenschaftliche Volontärin in der Abteilung Afrika. Woran arbeitest du gerade?
FRAUKE GATHOF: Als Volontärin arbeite ich in verschiedenen Tätigkeitsbereichen des Museums. Neben der Betreuung der Afrika-Sammlung recherchiere ich Themen für kommende Ausstellungen und aktuelle Projekte. Momentan beschäftige ich mich vor allem mit dem Ausstellungsprojekt „Invisible Inventories. Zur Kritik kenianischer Sammlungen in westlichen Museen“ als Teil des International Inventories Programme. Das ist eine Kooperation mit Künstler*innen aus Kenia und Europa, dem Nairobi National Museum sowie dem Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln, in dem wir uns mit Sammlungen kenianischer Objekte in Museen des Globalen Nordens auseinandersetzen. Neben dem Aufbau einer Datenbank sind die Ausstellungen in den drei beteiligten Museen zentral für die Sichtbarmachung des Themas und dem Zugang für die Öffentlichkeit. Wir am Weltkulturen Museum (die Afrika-Kustodin Leonie Neumann und ich) haben hierfür die Provenienz ausgewählter Objekte unserer Sammlung erforscht. Das waren z.B. Schmuck der Swahili, ein spezieller Kanga oder ein Schild der Maasai. Von den Maasai befinden sich auch Schmuckobjekte in der Frankfurter Sammlung. Diese werden in der Ausstellung „Grüner Himmel, Blaues Gras“ zu sehen sein, weshalb ich auch dazu recherchiert habe.

Oberarmband für Männer. Maasai, Kenia. Leder, Glasperlen, Muschelscheibe. Gesammelt durch Dr. Johanna Agthe, 1974. Sammlung Weltkulturen Museum. Foto: Wolfgang Günzel


WELTKULTUREN NEWS: Und was hat dich bei deiner Recherche über den Perlenschmuck für die Ausstellung „Grüner Himmel, Blaues Gras“ besonders interessiert?

FG: Der Perlenschmuck der Maasai hat viele Facetten und Geschichten, deshalb sind es so spannende Objekte. Der eine interessante Punkt ist, dass anhand der Farbwahl und -anordnung innerhalb eines Ornamentes sowie der Ornamente im Ganzen verschiedene Eigenschaften der Tragenden verdeutlicht werden  - wie Herkunftsregion, Verwandtschaft, sozialer Status, Geschlecht, Alter und vieles mehr. Jede Untergruppe der Maasai hat eigene Präferenzen in Farbe und Design, bestimmte Ornamente werden nur von Mitgliedern eines Altersgrades, von verheirateten Frauen oder Frauen, deren Sohn ein ilmurran (Krieger) ist, getragen. Dadurch können z. B. der soziale Status und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von anderen Maasai abgelesen werden. Es sind mehr soziale als modische Objekte. Gleichzeitig unterliegt die Anordnung und Kombination der Farben traditionell sehr strengen Regeln. Dass jede Sektion verschiedene Präferenzen hat, bedeutet nicht, dass Farben völlig frei wählbar sind.
Der andere spannende Aspekt liegt in der Geschichte der Perlen: Heute sind Bilder von Maasai-Männern und –Frauen mit Perlenschmuck in weiten Teilen der Welt bekannt. Die Ornamente aus kleinen bunten Glasperlen gelten als „typisch“ für die Maasai. Und tatsächlich sind sie ein wichtiger Teil der materiellen Kultur und zentrales Identifikationsmedium. Allerdings setzte die starke Präsenz des Perlenschmucks erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Überwiegend aus Europa wurden große Mengen nach Ostafrika importiert und dort in den lokalen Handel integriert. Zwar wurden bereits vorher Glasperlen, vor allem aus Indien und Venedig, in Ostafrika gehandelt, diese waren jedoch sehr teuer. Die Maasai nutzten deshalb für ihren Schmuck überwiegend Perlen aus Metall. Der Schmuck aus Metall hatte deutlich weniger Aussagekraft als später der Perlenschmuck. Stattdessen waren die Bemalungen auf den Schilden der Krieger starkes Identifikationsmedium. Hier konnten regionale und familiäre Herkunft sowie sozialer Status abgelesen werden. Jedoch befahlen die Kolonialregierungen (in Kenia Großbritannien, in Tansania Deutschland) um die Jahrhundertwende, die gesamte Bevölkerung zu entwaffnen. Da im Zuge der Entwaffnung auch die Schilde nicht mehr öffentlich getragen werden durften, suchten die Maasai eine neue Möglichkeit der Identifikation nach außen. Die Glasperlen wurden gerade populär und durch die niedrigeren Preise für viele erreichbar. Die Maasai integrierten diese in ihre materielle Kultur und luden sie mit neuen Bedeutungen auf.

Armband und Gürtel. Maasai, Kenia. Leder, Glasperlen, Metallspirale. Gesammelt durch Dr. Johanna Agthe, 1974. Sammlung Weltkulturen Museum. Foto: Wolfgang Günzel

WELTKULTUREN NEWS: Lass uns noch mal über Farben sprechen, das Thema unserer Ausgabe. Die Farben und ihre Anordnung unterliegen also einer gewissen Ordnung. Könntest du uns etwas dazu erzählen?
FG: Für den Perlenschmuck verwenden die Maasai hauptsächlich die Farben Gelb, Grün, Rot, Schwarz, Blau, Weiß und Orange. Für die Kombination der Farben innerhalb eines Ornaments bilden verschiedene Farbsets die Grundlage. Sie geben vor, welche Farben in welcher Anordnung verwendet werden. Neben der klassischen Kombination aus Weiß, Rot und Schwarz/Blau bestehen die Sets meist aus mehreren Farbpaaren. Diese bilden sich aus einer „starken“ (Rot, Schwarz oder Blau) und einer „schwachen“ Farbe. Das Ziel hierbei ist die Erzeugung möglichst starker Kontraste, die die Aufmerksamkeit des Betrachtenden anziehen. Da zwei „schwache“ Farben wie Gelb und Orange weniger kontrastreich sind als z. B. Blau und Orange, dürfen weder zwei „schwache“ noch zwei „starke“ Farben direkt nebeneinander verwendet werden. Dieses Prinzip der Vereinigung von Gegensätzen spiegelt die Basis der sozialen Weltordnung der Maasai wider. Das Ideal verbindet Ungleichheiten wie Mann und Frau, Tag und Nacht, rechte und linke Hand. Auch hier gibt es immer einen dominanten Teil. Jedoch sind beide Partner voneinander abhängig, sie ergänzen sich und bilden ein Ganzes (z.B. die Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau).



Ohrschmuck für Frauen. Maasai, Kenia. Leder, Glasperlen, Wäscheknöpfe. Pflanzenfasern. Gesammelt durch Dr. Johanna Agthe, 1974. Sammlung Weltkulturen Museum. Foto: Wolfgang Günzel

WELTKULTUREN NEWS: Gerade die Maasai sind zumindest hier in Deutschland durch zahlreiche Romane und Filme bekannt – sicherlich tragen dieser Bekanntheitsgrad und das vermittelte Bild dazu bei, Kenia oder Tansania auch als touristische Orte zu vermarkten. Welche Rolle spielt denn der Tourismus heute vor Ort?
FG: Das heutige Bild der Maasai in der westlichen Welt stützt sich häufig auf die als traditionell wahrgenommene (halb-)nomadische pastorale Lebensweise dieser Gruppe. Die Maasai hielten Rinder, Ziegen und Schafe und lebten von deren Produkten. Im Laufe der Zeit passten sie sich, wie auch andere Gesellschaften, sozialen, politischen und klimatischen Veränderungen an und fanden neue Wege der Repräsentation und Erschließung neuer Einnahmequellen. In den letzten Jahrzehnten ist der Tourismus als neuer Wirtschaftszweig in Kenia und Tansania stark gewachsen. Ein Weg für die Maasai, dies zu nutzen, ist die Herstellung von Perlenschmuck nicht mehr ausschließlich für Familienmitglieder oder Freund*innen sondern auch für den Verkauf. Die stereotyp-behaftete Popularität als „typische afrikanische Gruppe“, auch durch Bücher und Filme gefördert, führte zu einer erhöhten Nachfrage des Maasai-Schmucks als beliebtes Souvenir. Diese Bekanntheit wussten die Maasai zu nutzen. Der anhaltende Verkaufserfolg der Perlenornamente führte zur Ausweitung dieses Wirtschaftszweiges, vor allem in den Städten. Der Schmuck verlor teilweise an sozialer wie persönlicher Bedeutung und orientierte sich stärker an den Präferenzen des Marktes in Bezug auf das Design. Der Schmuck wird heute oftmals nur zu bestimmten Anlässen oder sogar aus rein modischen Gründen getragen. Dennoch sind die definierten Farbsets weiterhin bekannt.
Gleichzeitig bietet der Verkauf eine Möglichkeit größerer Unabhängigkeit für Maasai-Frauen, da sie es sind, die den Schmuck herstellen. Durch den Verkauf des Schmucks erhalten diese Frauen ein eigenes Einkommen und dadurch mehr Autonomie.

WELTKULTUREN NEWS: Danke, Frauke


Bio
Frauke Gathof war von 2019 bis 2021 Volontärin am Weltkulturen Museum in der Abteilung Afrika.

Das Interview erschien in der Weltkulturen News 04 (April - September 2021). Die aktuelle Ausgabe der Weltkulturen News können Sie kostenfrei hier abonnieren: