REPATRIIERUNG

08.07.2021

Das Weltkulturen Museum gibt ein Lederhemd der Lakota aus moralisch­ethischen Gründen an Chief Duane Hollow Horn Bear zurück



Im Mittelpunkt der Debatte um die Dekolonialisierung von Museen stehen die Forderungen nach Restitution von Sammlungsobjekten. Das Weltkulturen Museum der Stadt Frankfurt stellt sich dieser Herausforderung und kommt nun der Bitte um Rückführung in einem ganz speziellen Fall nach: Am 12. Juni 2021 wurde das historische Lederhemd des bekannten politischen Führers der Teton Lakota, Chief Daniel Hollow Horn Bear (†1913 in Washington, D.C.) dem Urenkel und Nachfolger Chief Duane Hollow Horn Bear in Rosebud, South Dakota, USA übergeben.


 

Das Weltkulturen Museum erwarb das Hemd im Jahr 1908 im Tausch mit dem American Museum of Natural History in New York. Das AMNH hatte es im Jahr 1906 als Teil einer großen Sammlung des New Yorker Millionärs, Sozialisten und Philantropen James Graham Phelps Stokes (1872 – 1960) erhalten. Unter welchen Umständen das Hemd zuvor aus dem persönlichen Besitz des Chiefs in die Sammlung Phelps gelangte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. 113 Jahre befand sich das Hemd dann im Besitz des Weltkulturen Museums und war 30 Jahre als Dauerleihgabe im Deutschen Ledermuseum Offenbach zu sehen.     

Bei einem Besuch im Weltkulturen Museum 2019 besichtigte Chief Duane Hollow Horn Bear das Hemd und äußerte die Bitte um Rückführung. Er präsentierte eine historische Porträt-Aufnahme des Fotografen John Alvin Anderson aus dem Jahre 1900, die Chief Daniel Hollow Horn Bear (Mato He Oklogeca) im betreffenden Hemd zeigt. Als erfahrener politischer Führer setze er sich in Washington, D.C. für die Indigenen Gemeinschaften in den damaligen Reservationen ein. Er und seine gesamte Indigene Community mussten die damals vorherrschenden repressiv-kolonialzeitlichen Verhältnisse erleiden.  















Das Objekt stellt für die Indigene Gemeinschaft der Teton Lakota ein kulturell spezifisches, identitätsstiftendes Objekt von religiöser Bedeutung dar. Es trägt spezielle Muster aus bunten Glasperlen und Menschenhaar, die zweifellos der Familie Hollow Horn Bear zuzuordnen sind und den persönlichen Besitz vor 1906 belegen. Auch wenn keine Unrechtmäßigkeit des Objekterwerbs nachgewiesen werden konnte, entschieden sich das Weltkulturen Museum und die Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main aus moralisch­ethischen Erwägungen für eine Repatriierung. Die Rückkehr des Hemdes ist für Chief Duane Hollow Horn Bear und seine Familie wie die Rückkehr des Urgroßvaters selbst.




Durch die großzügige Unterstützung des Weltkulturen Freundeskreises wurde die Transportfinanzierung ermöglicht. Die Rückgabe wurde vom US-Generalkonsulat in Frankfurt, vom nationalen NAGPRA-Programm (Native American Graves Protection and Repatriation Act) des Innenministeriums der USA und vom Smithsonian National Museum of the American Indian in Washington, D.C. begleitet.


Zitate

„Die Provenienzforschung ist eine der großen Herausforderungen der Museen des 21. Jahrhunderts. Die Frankfurter Museumslandschaft nimmt diese Herausforderung seit Jahren sehr ernst und unterzieht ihre Sammlungen einer systematischen Revision. Auch, wenn es ein Verlust für die Sammlung darstellt und das Objekt durch das Weltkulturenmuseum rechtmäßig erworben wurde: Die Rückgabe des Lederhemds an Chief Duane Hollow Horn Bear sehe ich als  Verpflichtung, die schwerer wiegt als die formaljuristische Sachlage.“ (Dr. Ina Hartwig, Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main)

 „Diese Rückführung ist eine Chance für einen Neubeginn der Beziehungen zwischen Museum und Urhebergesellschaft. Denn in der aktuell geführten Debatte zum Thema ‚wer spricht für wen‘ ist ein Perspektivwechsel dringend notwendig!“ (Dr. Mona Suhrbier, Kustodin Amerikas Weltkulturen Museum)

„In der Debatte um Restitution und Repatriierung von ethnologischen Sammlungen fällt immer wieder der Begriff vom Kulturgut aus kolonialem Kontext. Doch koloniale Verflechtungen und kulturelle Hintergründe sind von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Wichtig ist, dass jeder Entscheidung ein ehrlicher, gleichberechtigter Austausch zwischen allen Beteiligten vorausgeht.“ (Dr. Eva Ch. Raabe, Leitung Weltkulturen Museum)


Dr. Mona Suhrbier (Kustodin für die Amerikas) im Interview mit hr2 Kultur, 8. Juli 2021


Das Weltkulturen Museum gehört zu den Unterzeichnern der Heidelberger Stellungnahme „Dekolonisierung erfordert Dialog, Expertise und Unterstützung“ vom 6. Mai 2019, die anlässlich der Jahreskonferenz 2019 der Direktor*innen der Ethnologischen Museen im deutschspra­chigen Raum in Heidelberg verabschiedet wurde.