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Der Blick in das eigene Gesicht

Das westliche Bild von Tibet ist oftmals einseitig und klischeehaft geprägt, es handelt entweder von chinesischer Unterdrückung oder von Mythen über den sagenumwobenen Ort Shangrila. Dass Tibet eine vielschichtige moderne Gesellschaft aufweist, wird weitaus seltener wahrgenommen.

Im Jahr 2009 zeigt sich die Hauptstadt Lhasa als eine Mischung aus chinesischer Kleinstadt mit von reklamebestückten Betonbauten gesäumten Straßen und einem tibetischen Altstadtkern mit goldglänzenden Tempeldächern. Lhasa ist Zentrum für Pilger aus allen Himmelsrichtungen sowie Garnisonsstadt und Handelszentrum zugleich. 

Trotz aller Restriktionen hat sich hier in den letzten Jahren eine lebendige Kunstszene etabliert, deren Entwicklung sich auf dem Nährboden einer tiefgreifenden Veränderungen unterworfenen tibetischen Gesellschaft vollzieht – auf einem schmalen Grat zwischen postkommunistischen Strömungen, globaler Internetkultur und Buddhismus.

Einige junge Künstler, unter denen sich mittlerweile auch chinesische, seit langem in Tibet lebende Kollegen befinden, haben im Herzen der Altstadt eine Galerie gegründet. Sie trägt den Namen des ersten modernen Künstlers und Wissenschaftlers Tibets, Gendün Chöpel, einer Ikone des laizistischen tibetischen Freigeistes. 

Erstmals sind nun Fotodokumente von elf Künstlern der Gendün Chöpel Gallery im Westen zu sehen. Diese gewähren ganz persönliche Einblicke in den tibetischen Alltag zwischen Tradition, Repression und dem Ringen um eine eigene moderne tibetische Identität. Der Titel der Ausstellung, "Der Blick in das eigene Gesicht", wurde von den Fotografen gewählt, weil es sich um eine alte tibetische Redewendung handelt. Im Buddhismus wird damit der Moment bezeichnet, in dem ein Mensch vorurteilsfrei sein eigenes Wesen grundsätzlich erkannt hat, mit anderen Worten "erleuchtet" ist.