NACHRUF: PROF. JOSEF FRANZ THIEL

Das Weltkulturen Museum trauert um seinen ehemaligen Direktor Prof. Josef Franz Thiel, der am 08. April 2024 verstarb. Unter seiner Direktion (1985-1998) durchlief das Weltkulturen Museum, damals noch Museum für Völkerkunde, eine bedeutende Zeit des Aufbruchs, in der er sowohl die inhaltliche Ausrichtung des Museums entscheidend prägte als auch dessen heute zur Verfügung stehende Infrastruktur maßgeblich aufbaute.

Als gebürtiger Donauschwabe erfuhr Thiel schon als Kind und Jugendlicher Krieg, Vertreibung und Internierung. 1953 trat er den Steyler Missionaren (Societas Verbi Divini) bei, einer Ordensgemeinschaft, die christliche Mission mit ethnologischer Forschung verknüpft. So erhielt er während seines Theologiestudiums als Novize im Missionshaus St. Gabriel auch eine ethnologische Ausbildung. Nach Abschluss seiner Studien wurde Thiel 1961 als Missionar in die damalige Republik Kongo entsandt. 1964 studierte er dann Soziologie an der Sorbonne in Paris und wurde im Fach Ethnologie promoviert. Für das Anthropos-Institut des Missionshauses St. Augustin bei Bonn arbeitete er als Redakteur der großen ethnologischen Fachzeitschrift Anthropos und leitete das zugehörige Museum Haus der Völker und Kulturen. Nach seiner Habilitation 1974 lehrte er außerdem an der Universität Bonn. Seine Kindheit inmitten verschiedener ethnischer Gruppen mit unterschiedlichen Sprachen und die Missionsarbeit während einschneidender politischer Veränderungen im Kongo prädestinierten ihn für die Ethnologie und die internationale Arbeit in einem Weltkulturen Museum sowie überhaupt für den zwischenmenschlichen Austausch mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten.

Als Thiel 1985 von der Stadt Frankfurt zum Direktor des damaligen Museums für Völkerkunde ernannt wurde, gab es nur ein Haus, die Villa am Schaumainkai 29, mit der Ausstellungsfläche und wenigen im Dachgeschoss darüber eingerichteten Büros. Das völlig renovierungsbedürftige zugehörige Kutscherhaus beherbergte die Restaurierungswerkstätten und der größte Teil der Sammlungen war in einer nicht klimatisierten Industriehalle im Osthafen ausgelagert. Der wissenschaftliche Dienst bestand aus zwei Stellen, die Restaurierung nur aus einer. Schritt für Schritt und Jahr um Jahr erweiterte Thiel zielstrebig die räumliche und personelle Situation und damit den Handlungsspielraum des Museums. Ausstellungsflächen und Werkstätten wurden renoviert und technisch besser ausgestattet, für die Kustodie der Sammlungsbereiche Ozeanien und Südostasien feste wissenschaftliche Stellen geschaffen, die Restaurierungsabteilung wurde um zwei Stellen erweitert, eine umfangreiche Fachbibliothek und ein wissenschaftliches Bildarchiv aufgebaut. Überhaupt legte Thiel großen Wert auf das wissenschaftliche Profil des Hauses und warb mehrfach Drittmittel für Projekte bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein. Schließlich wurden die beiden Nachbarvillen am Schaumainkai hinzugewonnen und renoviert sowie der größte Teil der Sammlungen in ein neues technisch gut ausgestattetes Magazin im Frankfurter Osten umgelagert. Auch als der ihm bei Stellenantritt in Aussicht gestellte Museumsneubau trotz bereits intensiver Planungen von der Stadt Frankfurt abgesagt wurde, arbeitete er mit unvermindertem Engagement weiter an der Fortentwicklung des Museums.

Thiel verstand es gut, das gesamte Museumsteam zu motivieren und für neue Inhalte zu begeistern. So etablierte sich unter seiner Führung der Kulturvergleich als didaktische Methode, die bis heute den im Weltkulturen Museum konzipierten Ausstellungen zu Sachthemen von allgemeiner gesellschaftlicher Bedeutung zugrunde liegt. Als Thiel 1986 die außereuropäische zeitgenössische Kunst grundsätzlich zu einem Sammelschwerpunkt erklärte, setzte er damit einen bedeutenden Meilenstein für die inhaltliche Arbeit des Museums. Unter seiner Leitung wurde 1997 die Galerie 37 begründet, die Künstler*innen des globalen Südens, die damals bei westlichen Kunstmuseen noch keine Beachtung fanden, eine Plattform bot. Dieses Projekt wurde im Rahmen der Weltdekade für kulturelle Entwicklung von der UNESCO mit einem Prädikat ausgezeichnet. Heute gibt es die Galerie 37 nicht mehr, denn Kooperationen mit zeitgenössischen Künstler*innen und Präsentationen ihrer Werke sind grundsätzlich zu einem festen integralen Bestandteil aller Projekte des Weltkulturen Museums geworden. Doch die Galerieausstellungen der 1990er Jahre waren vielbeachtete, innerhalb der damaligen Museumsethnologie seltene Pionierleistungen und für die weitere Entwicklung des Weltkulturen Museums richtungsweisend.

Ohne jeden Zweifel trägt das Museum bis heute die unverkennbare Handschrift Josef Franz Thiels. Mit Dankbarkeit möchten wir nicht nur eines Direktors gedenken, der unendlich viel für unser Haus getan hat, sondern ganz besonders auch unserer Trauer um einen jeder Zeit der Menschlichkeit verpflichteten Förderer, Kollegen und Freund zum Ausdruck bringen.


- Text von Dr. Eva Ch. Raabe (Direktorin 2019 - 2023) und den Mitarbeitenden des Weltkulturen Museums