Boris Malkin, Kofán und Noanamá, Kolumbien, Südamerika, Sammlung Weltkulturen Museum
„Soon nothing of the same kind“. Über das Leben des Sammlers Borys Malkin
Im Rahmen seines wissenschaftlichen Volontariats in der Amerika-Abteilung des Weltkulturen Museums (2018-2019) hat sich Arno Holl mit der Aufarbeitung der Sammlung Malkin. In dem folgenden Text berichtet er über seine Forschung:
Unter den vielfältigen Sammlern, deren Objekte sich im Weltkulturen Museum befinden, nimmt Borys Malkin (1917-2009) in vielerlei Hinsicht eine besondere Stellung ein. Seine Sammlung von knapp 600 Objekten des indigenen Südamerika kam über einen Zeitraum von gut 20 Jahren an das Museum, unter oft nicht dokumentierten Umständen und von einer Vielzahl indigener Gruppen.
Malkins Leben und Identität waren ebenso facettenreich und fern aller Schubladen wie seine Sammlung: Geboren wurde er im heutigen Weißrussland, damals Russisches Reich, aufgrund der Revolution wuchs er aber in Polen auf und gilt allgemein als polnischer Sammler. Er entstammte einer jüdischen Familie, die vermutlich alle im Warschauer Ghetto starben. Malkin hingegen, ein Problemkind, das von sämtlichen Schulen verwiesen worden war, wurde 1938 von seinen ratlosen Eltern zu Verwandten nach New York geschickt, um Opernsänger zu werden. Stattdessen schaffte er es, ohne Schulabschluss ein Stipendium in den USA zu bekommen und Ethnologie, Anthropologie und Biologie zu studieren. Zum Ausbruch kam seine unvergleichliche Sammelleidenschaft dann während seines Einsatzes im Zweiten Weltkrieg: Anstatt mit feindlichen Truppen beschäftigte er sich mit der Insektenwelt Australiens, Neuguineas und der Philippinen. Nach dem Krieg studierte er zusätzlich Afrikanistik und Archäologie und begab sich auf eine Afrikareise, auf der er im Auftrag der California Academy of Science nicht weniger als 200.000 Insekten zusammentrug.
Nach einer kurzen Zeit als Dozent für Ethnologie an der University of Minnesota entschloss er sich, seine Karriere aufzugeben und freier ethnografischer Sammler zu werden. Er selbst kommentierte dies 1961: „Zum Teufel mit Ernsthaftigkeit, Prestige und ähnlichen Dummheiten.“ Sein Ziel war es, im Zuge der damals in Mode gekommenen „Urgent Anthropology“ oder „Salvage Anthropology“ soviel wie möglich vom Leben und der materiellen Kultur der vermeintlich zum Untergang verdammten indigenen Völker zu bewahren. Nach schwierigen Anfängen schaffte er es durch unermüdliche Reisen und große wissenschaftliche Sorgfalt, sich als Objektlieferant für ethnografische Museen in aller Welt zu etablieren. Er lebte 20 Jahre lang ohne festen Wohnsitz in Lateinamerika, schloss enge persönliche Kontakte zu rund 40 indigenen Gruppen vor allem des südamerikanischen Tieflands, kaufte ihnen Kunsthandwerk, aber auch Kleidungsstücke, Waffen, Gebrauchsgegenstände und Rohmaterialien ab und vertrieb diese an 33 Museen in Nordamerika, Südamerika und Europa. Neben den freundschaftlichen Banden zu den Herstellern der Objekte lag ihm auch deren wissenschaftliche Dokumentation sehr am Herzen. Den Sammlungen lagen stets maschinengetippte Objektbeschreibungen auf Englisch bei, die zumeist auch die Materialien, die Herstellung, die Verwendung und die Zugehörigkeit zur männlichen oder weiblichen Sphäre knapp, aber gründlich beschrieben. Zudem war Malkin, wie schon sein Vater, leidenschaftlicher Fotograf. So gab er innerhalb von zehn Jahren 40.000 Dollar, nach heutigem Kurs etwa 266.000 Dollar, für professionelles Fotoequipment aus. Es entstanden 40.000 ethnografische Dias, die die Fertigung und den Gebrauch der Objekte dokumentieren, aber auch das Leben der Menschen vor Ort inklusive vieler Einzelporträts. Auch am ethnografischen Film versuchte sich Malkin, sah sich darin aber als letztendlich unbegabt. Nichtsdestotrotz produzierte er insgesamt 22 Filme für das Institut für den Wissenschaftlichen Film in Göttingen. Auch die Insekten vernachlässigte er neben diesen Tätigkeiten nicht, er reiste immer mit umfangreicher Ausrüstung zum Sammeln weiterer seltener oder unbekannter Arten und trug im Laufe seines Lebens eine Million Exemplare zusammen.
Ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre wurde es für ihn zunehmend schwerer, seinen Lebensstil weiterzuführen. Ein Grund hierfür war die immer rigidere Politik der seit 1964 bestehenden Militärdiktatur in Brasilien, aber auch die Sparpolitik vieler Museen und das abflauende Interesse an indigenen Objekten im Zuge der postkolonialen Debatte. Malkin zog zurück nach Europa, in die Schweiz, später dann nach Polen, und durchlitt ernste Geldnöte. Dies führte auch dazu, dass er begann, polnisches Kunsthandwerk zu sammeln und nach Amerika, vor allem Kanada, zu verkaufen, was auch einen ethnografischen Film mit einschloss.
In dieser für ihn schwierigen Phase gelangten auch die meisten Objekte an das Weltkulturen Museum. Hieraus wird verständlicher, weshalb die Dokumentation dieser Objekte, vor allem in den 1980er-Jahren, so viel schlechter ausfiel als 20 Jahre zuvor: Ein Transport blieb im Hamburger Hafen liegen, versprochene Fotoserien trafen mit großer Verspätung ein, ungeordnet und ohne die üblichen Beschreibungen, und es kam zunehmend zu Zerwürfnissen. Malkin ging mittlerweile auf die 70 zu und war laut Zeitzeugen von zunehmender Unruhe getrieben. Dennoch unternahm er weiterhin Sammlungsreisen, zuletzt vor allem nach Argentinien, Bolivien und Paraguay, die letzte davon im Jahr 1994, mit immerhin 76 Jahren. Weitere geplante Reisen konnte er nicht mehr durchführen und sah sich daher gezwungen, Stück für Stück seine Privatsammlung zu verkaufen, da er niemals in eine Rentenkasse eingezahlt hatte.
Im neuen Jahrtausend wurde Malkin in Polen allmählich wiederentdeckt als ein bedeutender und faszinierender Mensch, Sammler, Ethnologe, Entomologe und Ethnozoologe. Im Auftrag des Ethnografischen Museums Krakau entstand ein biografischer Dokumentarfilm, die Dreharbeiten endeten 2009 einen Monat vor Malkins Tod.
Zwischen den Jahren 1965 und 1987 erwarb das Weltkulturen Museum etwa 570 Objekte von Malkin, darunter umfangreiche Sammlungen wie von den Tapirapé aus Brasilien oder den Noanamá aus Kolumbien, aber auch kleinere Konvolute und Einzelstücke, etwa ein Maskenkostüm aus Rindenbast von den Tikuna aus dem brasilianisch-peruanischen Grenzgebiet. Leider liegen nicht zu allen Objekten Korrespondenzen oder die Originallisten Malkins mit den erwähnten Kurzbeschreibungen vor, sodass nicht alle Fragen endgültig geklärt werden können. Allerdings verfügt das Bildarchiv noch über 37 Farbdias und 306 Negative sowie drei ethnografische Filme Malkins, die die Objekte im Feld sowie ihre Hersteller zeigen. So spiegeln sich in der Sammlung auch die Turbulenzen im Leben Malkins und seine wechselhaften Beziehungen zum Frankfurter Museum.
